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Fettleibigkeit ist kein moralisches Versagen.

Stigmatisierung im Zusammenhang mit Fettleibigkeit kann eine lähmende Wirkung auf Patienten haben, sagt Dr. Stefan Schlosser, ein erfahrener Gastroenterologe.

„Für viele meiner Patienten dauert es lange, bis sie erkennen, dass sie Hilfe brauchen“, erklärt Dr. Schlosser, der sich auf Gastroenterologie, Ernährung und Adipositas-Medizin spezialisiert hat. „Wenn jemand Bluthochdruck hat, eine Verletzung oder Brustschmerzen, wartet man nicht lange, sondern sucht sofort Hilfe. Ich wünschte, mehr Patienten würden sich früher melden und nicht so lange kämpfen.“

Ein weiteres Problem, so Schlosser, sei die fehlende oder eingeschränkte Versicherungsdeckung für Behandlungen wie Medikamente, chirurgische Eingriffe oder bariatrische Endoskopien.

„Es braucht Aufklärung und Fürsprache“, betont er. „Ich halte viele Vorträge um die Art und Weise zu verändern, wie Ärzte über Fettleibigkeit sprechen. Es ist wichtig, dass die Patienten verstehen, dass wir als Ärzte uns um sie kümmern und sie nicht verurteilen. Wir ändern diese Perspektive.“

Zusätzlich arbeitet Dr. Schlosser mit Politikern zusammen, um eine bessere Deckung von Adipositas-Behandlungen durch die Krankenkassen zu erreichen. In einem Interview sprach er ausführlich über die Verbindung zwischen Ernährung, Medizin und bariatrischen Verfahren sowie die Bedeutung, Patienten verschiedene Lösungswege anzubieten.

Warum haben Sie sich für die Gastroenterologie entschieden?

„Die Gastroenterologie bietet eine große Vielfalt“, erklärt Dr. Schlosser. „Man hat die Klinik, in der man intensiv mit den Patienten arbeiten und die Ursache ihrer Beschwerden herausfinden kann. Gleichzeitig hat man durch regelmäßige Koloskopien und Endoskopien die Möglichkeit zur Prävention, insbesondere zur Krebsvermeidung. Und dann gibt es noch die akuten Fälle – manchmal sogar Notfälle – wie Blutungen, die sofortiges Handeln erfordern. Das bietet einen gewissen Adrenalinkick. Die Mischung aus allem ist unglaublich abwechslungsreich und spannend.“

Wie sind Sie zu Ihrem Interesse an Ernährung und bariatrischer Endoskopie gekommen?

„Das kam bereits aus meiner Kindheit. Meine Eltern hatten einen großen Garten, und wir aßen fast nur unverarbeitete Lebensmittel“, erzählt Schlosser. „Während meiner Ausbildung habe ich bei den Patienten immer wieder dieselben gesundheitlichen Probleme gesehen: Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte und Diabetes. Und in der Klinik hatten viele Patienten Bauchschmerzen, Blähungen, Verstopfung und Sodbrennen – ohne dass die Untersuchungen wie Endoskopien oder Koloskopien etwas zeigten. Einen grossen Einfluss haben hier Ernährung und das Mikrobiom.“

„Zudem steigt die Zahl der fettleibigen Patienten jedes Jahr. Die Zusammenhänge zwischen Ernährung und diesen Krankheiten haben mich dazu gebracht, nach Lösungen zu suchen, die über die bariatrische Chirurgie hinausgeht.“

Wie sehen Sie die Behandlungsmöglichkeiten für Fettleibigkeit?

„Viele Menschen haben Angst vor einer Operation. Nur etwa 2 % der Patienten, die dafür in Frage kommen, entscheiden sich tatsächlich für einen Eingriff, obwohl dieser sehr wirksam sein kann. Die Gründe liegen oft in der Angst vor invasiven Verfahren oder in der Scham. Bariatrische Endoskopien sind eine gute Alternative, die weniger invasiv ist. Als Gastroenterologe finde ich es wichtig, meinen Patienten ein umfassendes Bild möglicher Behandlungsoptionen anbieten zu können, die über Kalorienreduktion und Magenbypass hinausgehen – und das schließt auch eine ausführliche Ernährungsberatung mit ein. Wir sprechen nicht oft genug über die Bedeutung der Ernährung.“

Mit dem Anstieg der Adipositasprävalenz in der Schweiz, Europa und den USA sind immer mehr Lösungen auf verschiedenen Versorgungsebenen erforderlich, um Patienten zu unterstützen.

Gastroenterologen können eine wesentliche Rolle in einem multidisziplinären Ansatz spielen, indem sie eine Vielzahl von Behandlungsoptionen anbieten – von Lebensstilinterventionen über medikamentöse Optionen bis hin zu bariatrischen Endoskopieverfahren – abgestimmt auf die Bedürfnisse und Präferenzen der Patienten.

Dr. Stefan Schlosser, ein erfahrener Gastroenterologe, erklärte: „Adipositas ist in unserer Praxis präsent. Wir sind in der Regel die erste Anlaufstelle bei Adipositas da sich Patienten oft frühzeitig mit auffälligen Leberwerten vorstellen. Dr. Schlosser betont, dass Adipositas weltweit die bedeutendste chronische Krankheit ist, die  1 Milliarde Menschen weltweit betrifft – und diese Zahlen werden in den kommenden Jahren weiter steigen. Bis 2030 wird in den USA eine Adipositasprävalenz von 50 % und eine Übergewichtsprävalenz von 80 % prognostiziert. 

Die alarmierenden Prävalenzraten sind nicht nur aus ästhetischen Gründen oder persönlicher Vorliebe von Bedeutung, sondern wegen der erheblichen Assoziationen mit vorzeitigem Tod, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Typ-2-Diabetes, zahlreichen Krebsarten und 280 anderen Krankheiten.

„Wählen Sie das Organ Ihrer Wahl, und Adipositas ist ein wichtiger Mitverursacher der bedeutendsten Erkrankungen“, sagte Dr. Schlosser. „Adipositas betrifft jede einzelne Krankheit und jedes einzelne Organ im gastrointestinalen System, daher ist es essenziell, dass wir dies tatsächlich managen.“

Auf Grundlage der aktuellen Empfehlungen sollten bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 25 oder höher zunächst Diät, Bewegung und Verhaltenstherapie empfohlen werden. Bei einem BMI über 27 mit Begleiterkrankungen kommen Medikamente zum Einsatz, bei einem BMI über 30 sind endoskopische Verfahren indiziert, und bei einem BMI über 40 stehen chirurgische Optionen zur Verfügung. Bei jeder Beratung sollten Ärzte Gespräche mit den Patienten über alle therapeutischen Optionen führen.

„Wir bewegen uns weg von einem pyramidenartigen Ansatz, bei dem wir den Patienten raten, eine Intervention auszuwählen, hin zu multidisziplinären Programmen, bei denen wir Interventionen in Kombination anbieten“, sagte Dr. Schlosser. Wir arbeiten nach den Leitlinienempfehlungen der Amerikanischen Gesellschaft für Gastroenterologie AGA (AGA POWER - Practice Guide on Obesity and Weight Management Education and Resources und AGA Clinical Practice Guideline on Pharmacological Interventions for Adults With Obesity). 

Fortschritte in der Pharmakotherapie

In den letzten Jahren haben Entwicklungen im Bereich der GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Semaglutid und Tirzepatid die Diskussion über Adipositas verändert. Zum ersten Mal reduzieren Medikamente nicht nur das Gewicht, sondern auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, was zuvor nur bei bariatrischen Operationen beobachtet wurde.

Weitere GLP-1-Optionen befinden sich in der Forschungspipeline. In den nächsten drei Jahren werden mehr Medikamente entwickelt, die untersuchen, wie der Darm Signale an das Gehirn über intestinale Hormone sendet, indem sie GLP-1, glucoseabhängiges insulinotropes Peptid und andere Rezeptoren anvisieren. Führend in der Pipeline zeigt Eli Lillys Retatrutid vielversprechende Ergebnisse mit Gewichtsreduktion und Verbesserung der Begleiterkrankungen, die mit denen von Tirzepatid vergleichbar oder besser sind. Weitere Daten aus Phase-3-Studien werden erwartet.

In der klinischen Praxis bleiben große Gespräche über gastrointestinalen Nebenwirkungen, insbesondere Gastroparese, bestehen, die ein Risiko für Aspiration bei der oberen Endoskopie darstellen können. Gastroenterologen sollten sich sicher fühlen, diese Nebenwirkungen zu managen, wenn sie Patienten mit diesen Medikamenten beginnen, sagte Dr. Schlosser, und weiterhin Fragen zu Nebenwirkungen und den neuesten Forschungsergebnissen stellen.

Natürlich bleiben große Hindernisse hinsichtlich des Patienten-Zugangs, der Versicherungsdeckung, kosteneffizienter Optionen und heterogener Patientenreaktionen bestehen. Letztendlich, so sagte Dr. Schlosser, sei das größte Hindernis unser Gesundheitssystem. „Wir können es uns nicht leisten, Adipositas mit teuren chirurgischen Verfahren zu managen die nur einen Bruchteil der Betroffenen erreicht.“

Wirksamkeit von Endobariatrie

Für Patienten mit einem BMI von 30 oder höher können minimalinvasive bariatrische Endoskopieverfahren zu Gewichtsverlust, Verbesserung der Stoffwechselergebnisse und weniger unerwünschten Ereignissen im Vergleich zur bariatrischen Chirurgie führen, sagte Dr. Stefan Schlosser, ein erfahrener Gastroenterologe.

Zum Beispiel wirken intragastrische Ballons – bekannt unter den Namen Orbera und Spatz – indem sie die Rate der Magenentleerung beeinflussen. Sie werden vorübergehend eingesetzt und nach mehreren Monaten entfernt; der Spatz kann bei Bedarf angepasst werden, indem Volumen entfernt oder hinzugefügt wird. Daten zeigen, dass der damit verbundene Gewichtsverlust zu Verbesserungen bei Insulinresistenz, viszeraler Adipositas, Dyslipidämie, Bluthochdruck, Leberenzymen, metabolisch bedingter Steatosis hepatis (MASLD) und metabolisch bedingter Steatohepatitis (MASH) führen kann.

Obwohl die Mehrheit der Patienten, die minimalinvasive Verfahren durchlaufen, Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen erfährt, neigen diese Symptome dazu, in den ersten Wochen nachzulassen, erklärte Dr. Schlosser. Gleichzeitig kann sich gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) bei Patienten verschlechtern, die bereits davon betroffen sind, weshalb Protonenpumpenhemmer empfohlen werden, solange der Ballon eingesetzt ist.

Die endoskopische Sleeve-Gastroplastik hat sich in den letzten Jahren zur am häufigsten angewandten endobariatrischen Methode entwickelt. Das Verfahren verwendet Vollschicht-Nähte, die mit einem endoskopischen Nähgerätplatziert werden, um die Größe der Öffnung zum Magen zu verringern. In früheren Studien haben Patienten bis zu 18 Kilogramm verloren, und mehr als 80 % haben das verlorene Gewicht bis zu 5 Jahre lang gehalten. Das Verfahren, das keine Verschlechterung von GERD zeigte, wirkt, indem es die Magenkontraktivität bewahrt und die Magenentleerung verzögert.

Dr. Schlosser wies auf eine der Hauptschwierigkeiten hin: die Ausbildung und Zertifizierung, da viele Patienten keinen Zugang zu Fachleuten haben, die diese Verfahren durchführen können. „Es geht nicht nur um technische Kompetenz bei der Durchführung eines Verfahrens – es geht auch um die administrative Arbeit bei der Einrichtung eines multidisziplinären Programms“, sagte er. „Es ist sehr wichtig, Adipositas als Krankheit zu verstehen und zu lernen, wie man sie behandelt.“

Überwachung von MASLD

MASLD, das stark mit Insulinresistenz verknüpft ist, nimmt weltweit mit zunehmender Adipositas zu. Die gute Nachricht ist, dass die Zusammenhänge zwischen MASLD und Adipositas auch umgekehrt wirken – wenn Patienten Gewicht verlieren und die kardiovaskulären Risikofaktoren verbessern, kann sich MASLD ebenfalls verbessern. Bemerkenswerterweise kann Steatosis bei einem Gewichtsverlust von 3 % verschwinden, Entzündungen nehmen bei einem Gewichtsverlust von 5 % ab, MASH-Resolution tritt bei einem Gewichtsverlust von 7 % ein und Fibrose verbessert sich bei einem Gewichtsverlust von 10 %.

Primär legt Dr. Schlosser seinen Fokus auf Lebensstilinterventionen, insbesondere auf die Ernährung, indem er eng mit Diätassistenten zusammenarbeitet. Eine modifizierte Mittelmeerkost mit Olivenöl und einfach ungesättigten Fetten kann Steatosis im MRT im Vergleich zu einer fett- und kohlenhydratreichen Diät verringern und scheint auch die Sterblichkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Adipositas zu reduzieren. Im Rahmen der modifizierten Diät werden Kohlenhydrate auf 30 Gramm pro Mahlzeit pro Tag begrenzt.

Dr. Schlosser empfiehlt Interventionen zur körperlichen Aktivität, eine gute Schlafhygiene, die Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe, medikamentöse Optionen und bariatrische Lösungen, um Gewicht zu reduzieren, die Insulinresistenz zu verbessern und Risikofaktoren für MASLD zu bekämpfen. Zum Beispiel zeigen aktuelle Phase-2b-Studien, dass Semaglutid zur MASH-Resolution führen kann, wobei die Phase-3-Studien-Daten bis Ende 2024 erwartet werden.

Zusätzlich hat Resmetirom, ein leberspezifischer Schilddrüsenhormonrezeptor-beta-selektiver Agonist – das erste von der Food and Drug Administration genehmigte Medikament für MASH – beide primären Endpunkte der MASH-Resolution und der Fibroseverbesserung erreicht. In der Schweiz ist das Medikament noch nicht zugelassen und Richtlinien der AASLD und EASL zur Verwendung des Medikaments stehen noch aus, sagte Dr. Schlosser.

Berücksichtigung der Perspektive der Gemeinschaft

Kliniker auf Gemeindeebene stehen vor einer einzigartigen Reihe von Herausforderungen, wenn es darum geht, Adipositas durch einen multidisziplinären Ansatz und langfristige Versorgung anzugehen. Dies wird besonders wichtig, da immer mehr Praxen mit einer erhöhten Patientenlast und Adipositas-bedingten GI-Komorbiditäten konfrontiert sind, sagte Dr. Stefan Schlosser.

Dr. Schlosser weist auf die mit Adipositas verbundenen Erkrankungen hin, darunter frühere Erscheinungen von GERD, erhöhte Leberenzymwerte, MASLD, MASH, IBS, IBD, Gallenblasenerkrankungen, Kolonpolypen und GI-Krebserkrankungen.

„Als Gastroenterologe, die Erfahrensten sind gleichzeitig auch internistische Fachärzte, befinden wir uns in einer einzigartigen Position, da wir sowohl medikamentöse als auch endoskopische Behandlungen anbieten können und die Behandlung damit optima skalieren“, sagte Dr. Schlosser. „Die GI-Komorbiditäten bieten die Möglichkeit für eine frühzeitige Intervention, und wir sehen viele Nebenwirkungen von anti-Adipositas-Medikamenten.“

Die besten Praktiken auf Hausarztebene beginnen mit einem patientenzentrierten Ansatz, so Dr. Schlosser. Auch wenn Praktiker bereits zeitlich eingeschränkt sind und sich auf GI-bezogene Komorbiditäten konzentrieren, kann der Einsatz des 5A-Frameworks hilfreich sein:

  • Fragen, ob der Patient bereit ist, darüber zu sprechen
  • Bewerten, welche Faktoren zur Adipositas beitragen
  • Beraten über Behandlungsmöglichkeiten
  • Vereinbaren von Zielen basierend auf gemeinsamer Entscheidungsfindung
  • Unterstützen oder Arrangieren des vereinbarten Plans

Während der Bewertungsphase schlägt Dr. Schlosser vor, nicht nur medizinische und körperliche Werte zu betrachten, sondern auch sekundäre Ursachen für Gewichtszunahme zu untersuchen, einschließlich der Beziehung des Patienten zu Lebensmitteln, Mikronährstoffmängeln, psychosozialen Anliegen, Störungen des Körperbildes und Auslösern für Essverhalten.

Während der Beratungsphase sollten Kliniker mehrere Ziele in Betracht ziehen – wie Ernährung, körperliche Aktivität und Verhalten – und dabei einen überwachten und strukturierten Ansatz wählen. Dr. Schlosser und seine Ernährungsberater empfehlen einen Ernährungsplan, aerobes Training, Widerstandstraining, Verhaltensänderungen der Essgewohnheiten, Schlafhygiene und die Selbstüberwachung durch Smartphone-Apps und tragbare Geräte. Medikamentöse Therapien können für einige Patienten relevant und effektiv sein.

„Am wichtigsten ist, dass wir es mit jahrzehntelanger Stigmatisierung und Vorurteilen gegenüber dieser Krankheit zu tun haben, bei der ‚du bist, was du isst‘“, sagte er. „Diese Mentalität von ‚Ich kann Gewicht verlieren, ohne Hilfe zu benötigen‘ ist eine echte Herausforderung.“

Stigmatisierung im Zusammenhang mit Fettleibigkeit kann eine lähmende Wirkung auf Patienten haben, sagt Dr. Stefan Schlosser, ein erfahrener Gastroenterologe.

„Für viele meiner Patienten dauert es lange, bis sie erkennen, dass sie Hilfe brauchen“, erklärt Dr. Schlosser, der sich auf Gastroenterologie, Ernährung und Adipositas-Medizin spezialisiert hat. „Wenn jemand Bluthochdruck hat, eine Verletzung oder Brustschmerzen, wartet man nicht lange, sondern sucht sofort Hilfe. Ich wünschte, mehr Patienten würden sich früher melden und nicht so lange kämpfen.“

Ein weiteres Problem, so Schlosser, sei die fehlende oder eingeschränkte Versicherungsdeckung für Behandlungen wie Medikamente, chirurgische Eingriffe oder bariatrische Endoskopien.

„Es braucht Aufklärung und Fürsprache“, betont er. „Ich halte viele Vorträge um die Art und Weise zu verändern, wie Ärzte über Fettleibigkeit sprechen. Es ist wichtig, dass die Patienten verstehen, dass wir als Ärzte uns um sie kümmern und sie nicht verurteilen. Wir ändern diese Perspektive.“

Zusätzlich arbeitet Dr. Schlosser mit Politikern zusammen, um eine bessere Deckung von Adipositas-Behandlungen durch die Krankenkassen zu erreichen. In einem Interview sprach er ausführlich über die Verbindung zwischen Ernährung, Medizin und bariatrischen Verfahren sowie die Bedeutung, Patienten verschiedene Lösungswege anzubieten.

Warum haben Sie sich für die Gastroenterologie entschieden?

„Die Gastroenterologie bietet eine große Vielfalt“, erklärt Dr. Schlosser. „Man hat die Klinik, in der man intensiv mit den Patienten arbeiten und die Ursache ihrer Beschwerden herausfinden kann. Gleichzeitig hat man durch regelmäßige Koloskopien und Endoskopien die Möglichkeit zur Prävention, insbesondere zur Krebsvermeidung. Und dann gibt es noch die akuten Fälle – manchmal sogar Notfälle – wie Blutungen, die sofortiges Handeln erfordern. Das bietet einen gewissen Adrenalinkick. Die Mischung aus allem ist unglaublich abwechslungsreich und spannend.“

Wie sind Sie zu Ihrem Interesse an Ernährung und bariatrischer Endoskopie gekommen?

„Das kam bereits aus meiner Kindheit. Meine Eltern hatten einen großen Garten, und wir aßen fast nur unverarbeitete Lebensmittel“, erzählt Schlosser. „Während meiner Ausbildung habe ich bei den Patienten immer wieder dieselben gesundheitlichen Probleme gesehen: Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte und Diabetes. Und in der Klinik hatten viele Patienten Bauchschmerzen, Blähungen, Verstopfung und Sodbrennen – ohne dass die Untersuchungen wie Endoskopien oder Koloskopien etwas zeigten. Einen grossen Einfluss haben hier Ernährung und das Mikrobiom.“

„Zudem steigt die Zahl der fettleibigen Patienten jedes Jahr. Die Zusammenhänge zwischen Ernährung und diesen Krankheiten haben mich dazu gebracht, nach Lösungen zu suchen, die über die bariatrische Chirurgie hinausgeht.“

Wie sehen Sie die Behandlungsmöglichkeiten für Fettleibigkeit?

„Viele Menschen haben Angst vor einer Operation. Nur etwa 2 % der Patienten, die dafür in Frage kommen, entscheiden sich tatsächlich für einen Eingriff, obwohl dieser sehr wirksam sein kann. Die Gründe liegen oft in der Angst vor invasiven Verfahren oder in der Scham. Bariatrische Endoskopien sind eine gute Alternative, die weniger invasiv ist. Als Gastroenterologe finde ich es wichtig, meinen Patienten ein umfassendes Bild möglicher Behandlungsoptionen anbieten zu können, die über Kalorienreduktion und Magenbypass hinausgehen – und das schließt auch eine ausführliche Ernährungsberatung mit ein. Wir sprechen nicht oft genug über die Bedeutung der Ernährung.“

Glauben Sie, dass mehr Gastroenterologen eine bessere Ausbildung in Bezug auf Ernährung erhalten sollten?

Dr. Stefan Schlosser: Absolut. Jeder Patient, den ich sehe, war zuvor schon bei einem Gastroenterologen und sagt: „Niemand hat mir jemals gesagt, dass ich bei täglichem Konsum von kohlensäurehaltigen Getränken und Käse aufgebläht und verstopft sein werde.“ Das sollte nicht so sein.

Warum glauben Sie, dass mehr Gastroenterologen während ihrer medizinischen Ausbildung keine ausreichende Schulung in Ernährung erhalten?

Schlosser: Ich denke, es liegt an unserem Gesundheitssystem. Es konzentriert sich stark auf die sekundäre Behandlung anstatt auf Prävention. Es gibt keinen Fokus darauf, Dinge zu verhindern, bevor sie entstehen.

Wir sind sehr gut in der reaktiven Medizin. Patienten mit Geschwüren, großen Polypen, Darmkrebs oder Speiseröhrenkrebs – diese Dinge behandeln wir hervorragend. Aber weil es keine ABrechnungscodes für Prävention durch Ernährung gibt und keine gute Vergütung dafür, fehlt der Anreiz für Krankenhäuser, diese Dinge zu fördern. Unser System basiert auf krankheitsbasierten Fallpauschalen und ambulanten Codes. Das hat uns in eine Richtung geführt, die stark auf Reaktion anstatt auf Prävention fokussiert ist.

In der medizinischen Ausbildung haben wir einfach nicht über Ernährung gesprochen – weder im Studium, noch während der Facharztausbildung oder der Spezialisierung. Ernährung wurde als eine „weiche Wissenschaft“ betrachtet. Als ich in der Ausbildung war, hörte man oft: „Keiner wird seine Ernährung ändern, also ist es Zeitverschwendung, darüber zu sprechen.“ Aber ich finde, man muss den Menschen die Chance geben. Man kann nicht einfach alle abschreiben. Einige werden nichts ändern, und das ist in Ordnung. Aber sie sollten zumindest die Möglichkeit haben.

Wie entscheiden Sie, ob ein Patient ein guter Kandidat für eine bariatrische Operation ist?

Schlosser: Die Entscheidung basiert auf den Richtlinien. Wenn sie die BMI-Anforderungen erfüllen, Adipositas-bedingte Begleiterkrankungen haben und das Operationsrisiko gering ist, dann kommen sie infrage. Aber es hängt auch davon ab, ob der Patient bereit ist, den Eingriff zu machen. Ein Patient muss mental bereit sein. Sie müssen die Operation, die bariatrische Endoskopie oder Medikamente wollen und bereit sein, eine Veränderung zu beginnen. Einige sind noch nicht so weit – sie wollen eine Lösung, sind aber noch nicht bereit, die Arbeit zu leisten.

Und es ist immer mit Arbeit verbunden. Ich sage meinen Patienten: „Ob es Medikamente, bariatrische Endoskopie oder Operationen sind – du wirst trotzdem Arbeit investieren müssen. Nichts davon wird magisch geschehen, sodass du einfach weitermachen kannst wie bisher und Gewicht verlierst und es hältst.“

Welche Fortschritte in der Prävention von Adipositas begeistern Sie am meisten?

Schlosser: Ich finde es großartig, dass bariatrische Endoskopie überhaupt eingeführt wurde. In fast allen anderen Bereichen der Medizin gibt es inzwischen weniger invasive Methoden. Außerdem bin ich von den neuen Medikamenten zur Gewichtsreduktion, wie den GLP-1s, begeistert. Diese Medikamente sind ein Werkzeug, das wir dringend brauchen.

Glauben Sie, dass Medikamente zur Gewichtsreduktion die Notwendigkeit einer Operation überflüssig machen könnten?

Dr. Stefan Schlosser: Ich denke nicht, dass sie die Notwendigkeit einer Operation unbedingt verringern. Es gibt noch viel, was wir nicht darüber wissen, warum diese Medikamente bei manchen Patienten wirken und bei anderen nicht.

Einige meiner Kollegen haben Phänotypen und Bluttests entwickelt, mit denen wir besser verstehen können, welche Behandlungen bei welchen Patienten wirken. Operationen funktionieren nicht bei allen, und manche Menschen benötigen nach Erreichen eines Plateaus eine Kombination aus beidem. Ich freue mich, dass dies jetzt als Forschungsgebiet ernst genommen wird und dass mehr Aufwand betrieben wird. Fettleibigkeit ist keine Frage von moralischem Versagen, und es ist gut, dass Menschen zunehmend verstehen, dass Übergewichtige nicht einfach „mehr bewegen“ oder „weniger essen“ müssen, um abzunehmen. Dies haben einige Ärzte nicht verstanden.

Welcher Lehrer oder Mentor hatte den größten Einfluss auf Sie?

Schlosser: Gute Lehrer und Mentoring hatte während meiner Ausbildung am Inselspiatl Bern für die Ausbildungsstätte leider einen untergeordneten Stellenwert. Viele Probleme über die das Inselspital heute klagt, gehen auf schlechte Umgangsformen gegenüber Mitarbeitern und Patienten zurück. Guten Ideen und neue Entwicklungen haben sich mir bei vielen guten Fortbildungen und Kursen im Ausland offenbart. Wenn ich Ärzte wie Dr. Christopher C. Thompson aus (Brigham and Women’s Hospital, Boston) oder Barham Abu Dayyeh von der Mayo Clinic treffe, gewissermaßen die Väter der bariatrischen Endoskopie, bin ich sehr dankbar sehe zu dürfen, was heutzutage eine gute Versorgung und medizinische Visionen ausmacht. Dies versuche ich im Alltag umzusetzen.

Wie würden Sie einen freien Samstagnachmittag verbringen?

Schlosser: Wenn ich nicht Endoskopiere beginnt bei mir der Samstag mit meiner Familie. Leider hat auch bei mir regelmässige Bewegung nicht mehr den Stellenwert, den Sie haben sollte. Wenn Zeit da ist, wandern oder klettern wir sehr gerne in den Bergen. Mittlerweile stehen meine Kinder im Urlaub häufig auf dem Surfbrett und ich begeistere mich für neue Sportarten wie Wingfoilen.