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Das Reizdarmsyndrom ist eine Erkrankung, deren Symptome u.a. Bauchschmerzen und Stuhlveränderungen sind. Die Erkrankung wird per Ausschlussdiagnose festgestellt.

Definition

Ein Reizdarmsyndrom liegt vor, wenn alle drei der folgend genannten Punkte erfüllt sind:

  • Das Vorliegen von chronischem, seit mehr als 3 Monaten andauernden Beschwerden (z.B. Bauchschmerzen, Blähungen), die von dem Betroffenen und dem behandelnden Arzt auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Veränderungen des Stuhlgangs einhergehen.
  • Der Patient sucht wegen den Beschwerden Hilfe auf und/oder sorgt sich so stark, dass die Lebensqualität hierdurch relevant beeinträchtigt ist.
  • Die vorhandenen Symptome können nicht durch eine andere Erkrankung erklärt werden.

Schweregrad der Erkrankung

Es existieren verschiedene validierte Schweregrad-Scores, von denen das am häufigsten verwendete das IBS-severity scoring system (IBS-SSS) ist. Dieser Score spiegelt die Arztsichtweise wider und beinhaltet die Parameter Schmerz, Distension, Darmfehlfunktion und Lebensqualität.

Epidemiologie

Die Prävalenz des Reizdarmsyndroms liegt, je nach verwendeten Diagnosekriterien, zwischen 2,5 und 25%. Damit ist das Reizdarmsyndrom neben der Dyspepsie die häufigste gastrointestinale Störung. Die Erkrankung tritt häufiger bei Frauen als bei Männern auf (2:1). Sie kann ferner in allen Altersklassen auftreten. Die Prävalenz ist bei höherem Einkommen niedriger.

Ursachen

Die Ätiologie ist nicht abschließend geklärt. Eine Reizdarmsymptomatik kann durch einen enteralen Infekt ausgelöst werden. Auch eine genetische Prädisposition konnte für das Reizdarmsyndrom gezeigt werden. Hier könnten aber auch intrafamiliäre Faktoren, Coping-Strategien oder Umgebungsfaktoren eine Rolle spielen. Stress scheint Symptome des Reizdarmsyndroms auslösen oder zumindest verschlimmern zu können.

Pathogenese

Auch die Pathogenese des Reizdarmsyndroms ist nicht abschließend geklärt. Man geht davon aus, dass das Reizdarmsyndrom auf Störungen der intestinalen Barriere, der Motilität, der Sekretion und/oder der viszeralen Sensibilität beruht.

Es konnte eine durch eine verringerte mRNA-Expression des Tight-Junction Proteins Zonula-occludens-1 verursachte erhöhte Permeabilität in Dickdarmbiopsien bei Betroffenen gezeigt werden. Hiermit assoziiert ist eine viszerale Hypersensitivität. Zudem konnte gezeigt werden, dass die Kolontransitzeit bei Reizdarmpatienten verändert ist. Auch die Motilität des Darms ist bei den Betroffenen erhöht. Die mikroinflammatorischen/neuroimmunologischen Prozesse in der Darmmukosa sind mit einer Zunahme von Immunzellen und/oder EC-Zellen assoziiert. Zudem findet sich bei den Betroffenen eine erhöhte Innervation der Schleimhaut und eine veränderte Sympathikus-/Parasympathikus-Aktivierung. Außerdem ist das Reizdarmsyndrom mit einer veränderten Darmflora assoziiert.

Auch ein erlerntes Krankheitsverhalten (learned illness behaviour) spielt bei der Entwicklung des Reizdarmsyndroms eine Rolle. Eine eindeutige kausale Beziehung zwischen dem Vorliegen von psychischem Stress und einem Reizdarmsyndrom konnte bisher nicht gezeigt werden. Stress könnte jedoch den Verlauf des Reizdarmsyndroms negativ beeinflussen. Im Tiermodell konnten durch Stress veränderte gastrointestinale Funktionen gezeigt werden, die bei der Pathogenese der Erkrankung eine Rolle spielen könnten.

Symptome

Die Patienten können unter vielfältigen Symptomen leiden. In der Regel sind die Leitsymptome Diarrhoe, Schmerzen, Obstipation oder auch Blähungen bzw. Distension. Häufig dominieren entweder Diarrhoe oder Obstipation bei einem Patienten.

Die Patienten klagen über Druck und Völlegefühl nach den Mahlzeiten. Auch ein pathologischer Stuhldrang und ein Gefühl der unvollständigen Darmentleerung ist anzutreffen. Meist bessert sich das abdominelle Druck- und Völlegefühl nach der Darmentleerung.

Warnhinweise, die gegen ein Reizdarmsyndrom sprechen, sind beispielsweise das Vorliegen von nächtlicher Diarrhoe, Fieber, Blut im Stuhl und Gewichtsverlust.

Diagnostik

Die Diagnostik beginnt mit der Anamnese der Patienten. Hier muss insbesondere die typische und kompatible Beschwerdekonstellation evaluiert werden.

Differentialdiagnosen

Als nächster Schritt müssen mögliche Differentialdiagnosen ausgeschlossen werden. Dazu zählen beispielsweise:

Es muss insbesondere auf das Vorliegen von Alarmsymptomen geachtet werden. Bei bis zu 5% der Patienten, bei denen klinisch initial ein Reizdarmsyndrom diagnostiziert wurde, stellt sich kurz-mittelfristig doch eine organische Erkrankung als ursächlich für die Beschwerden heraus. Beispielsweise lag die Inzidenz eines kolorektalen Karzinoms bei den Reizdarmsyndrompatienten bei 1% und war gegenüber der Normalbevölkerung deutlich erhöht. Auch bei Ovarialkarzinompatienten liegen typische Reizdarmbeschwerden meist als einziges Symptom mehr als 6 Monate vor Diagnosestellung vor.

Basisdiagnostik

Der Anamnese sollte sich eine Basisdiagnostik anschließen. Diese sollte eine körperliche Untersuchung inklusive einer rektalen Untersuchung beinhalten.

Zudem sollte eine Basislabor-Diagnostik erfolgen. Diese sollte mindestens ein Blutbild, die Blutsenkungsgeschwindigkeit, das C-reaktive Protein und den Urinstatus enthalten. Individuell sollte evaluiert werden, ob zudem noch Serum-Elektrolyte, Nierenretentionswerte, Leber- und Pankreasenzyme, TSH, Blutzucker/HbA1c, eine Stuhlmikrobiologie, Zöliakie-Antikörper (Transglutaminase Antikörper) und Calprotectin A/Lactoferrin im Stuhl untersucht werden sollten.

Ferner sollte eine abdominale Ultraschalluntersuchung erfolgen. Bei Frauen sollte eine gynäkologische Ursache der Beschwerden ausgeschlossen werden.

Um die Diagnose eines Reizdarmsyndroms sichern zu können, empfiehlt die Leitlinie bei Erwachsenen die Durchführung einer Ileokoloskopie zur Ausschlußdiagnostik relevanter Differentialdiagnosen wie beispielsweise dem kolorektalen Karzinom.

Insbesondere beim Vorliegen einer Diarrhoe als wesentliches Symptom empfiehlt die Leitlinie eine eingehende diagnostische Abklärung einschließlich einer Erregerdiagnostik im Stuhl sowie von endoskopischen (inklusive Stufenbiopsien) und funktionsdiagnostischen Untersuchungen. Bei Patienten mit chronischer Diarrhoe liegt in der Regel eine identifizierbare und therapierbare Störung vor.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Reizdarmsyndrom derzeit diagnostiziert wird, wenn die obigen Untersuchungen unauffällig sind (körperliche Untersuchung, Labor inklusive Stuhluntersuchung, Sonographie, ggf. Ileokoloskopie).

Therapie

Allgemeine Therapieprinzipien

Die Patienten sollten ein individuelles Krankheitsmodell und kongruentes Behandlungskonzept erfahren. Hierbei sollten mögliche individuelle Triggerfaktoren berücksichtigt werden. Ernährungs- und Lebensstilempfehlungen sollten die individuell vorhandenen Triggerfaktoren beachten.

Ernährung: Einheitliche Ernährungsempfehlungen gibt es derzeit nicht. Individuelle Ernährungsempfehlungen sollten sich an den jeweiligen Symptomen orientieren. Eine Ernährungsberatung kann bei Betroffenen hilfreich sein. Ausgewählte Probiotika können gemäß Leitlinie in der Therapie des Reizdarmsyndroms eingesetzt werden. Zudem können lösliche Ballaststoffe wie Psyllium/Plantago und Ispaghula in der Therapie verwendet werden. Auf eine ausreichende Trinkmenge sollte, um den positiven Effekt zu steigern, geachtet werden. Die Ballaststoffe können bei Patienten mit vorwiegend obstipativen Symptomen aber auch bei Patienten, die überwiegend Diarrhoe oder Schmerzen als Symptome zeigen, eingesetzt werden.

Aufgrund der Heterogenität des Krankheitsbildes existiert keine Standardtherapie. Ein medikamentöser Therapieversuch ohne adäquate Besserung der Symptomatik sollte nach spätestens 3 Monaten abgebrochen und ggf. durch einen anderen Wirkstoff ersetzt werden. Wegen des benignen Charakters des Reizdarmsyndroms muss bei dem Einsatz einer Therapie immer eine sorgfältige individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen.

Einbeziehung der Psyche

Psychische Einflussfaktoren (z. B. das Vorliegen von beruflichen oder familiären Stressfaktoren), Angst, Depressivität sowie die Tendenz zur Somatisierung sollten erfasst werden, um den Behandlungserfolg günstig zu beeinflussen.

Im Einzelfall können komplementäre Therapieverfahren beispielsweise Akupunktur oder auch Yoga gemäß der Leitlinie in der Therapie des Reizdarmsyndroms eingesetzt werden. Bei Bedarf empfiehlt die Leitlinie bei Betroffenen eine psychologische/psychosomatische Betreuung. Psychotherapeutische Verfahren wie beispielswiese eine kognitive Verhaltenstherapie, eine psychodynamische Therapie oder auch eine darmbezogene Hypnose sollten in das Therapiekonzept des Reizdarmsyndroms integriert werden.

Sollten psychische Komorbiditäten (Angststörung, Depression) vorliegen, gibt die Leitlinie eine „Kann“-Empfehlung für die Verschreibung von Antidepressiva. Hier sollte beachtet werden, dass Patienten mit überwiegend obstipativem Beschwerdebild keine trizyklischen Antidepressiva erhalten sollten. Bei ihnen können beispielswiese Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) verwendet werden.

Schmerzbehandlung

Zur Behandlung der Schmerzen sollten weder periphere Analgetika (Acetylsalicylsäure, Paracetamol, NSAR, Metamizol) noch Opiode und Opiodagonisten eingesetzt werden.

Zur Schmerztherapie empfiehlt die Leitlinie beispielsweise Spasmolytika. Auch lösliche Ballaststoffe und Probiotika können schmerzlindernd wirken. Zudem können trizyklische Antidepressiva und SSRI zur Schmerztherapie verwendet werden. Auch Phytotherapeutika können zur Schmerztherapie eingesetzt werden.

Therapie der Diarrhoe

Die Leitlinie spricht sich dafür aus, dass Loperamid in der Therapie der Diarrhoe bei Reizdarmpatienten eingesetzt werden kann. Auch Ballaststoffe und Probiotika können hier helfen. Eine Therapie mittels Colestyramin kann laut Leitlinie durchgeführt werden. Phytotherapeutika aber auch Spasmolytika können Patienten mit Stuhlunregelmäßigkeiten helfen.

Behandlung der Obstipation und Blähungen

In der Therapie von Obstipation und Blähungen bei Reizdarmsyndrom sollten Ballaststoffe wie beispielsweise Flohsamenschalen probiert werden. Auch osmotische Laxanzien beispielsweise vom Macrogeltyp können verwendet werden.

Ein Therapieversuch mit Prucaloprid kann bei therapierefraktären Fällen versucht werden. Auch Probiotika können verwendet werden. Eine Effektivität für das Phytopharmakon STW-5 in der Therapie des Reizdarmsyndroms konnte nachgewiesen werden.

Auch Spasmolytika können in der Therapie eingesetzt werden. Zudem kann ein Therapieversuch mittels SSRI bei im Vordergrund stehenden Schmerzen und/oder psychischer Komorbidität erfolgen. Flatulenzen/abdominelle Distension/Meteorismus und Blähungen können durch Probiotika verbessert werden. Bei therapierefraktären Beschwerden kann auch ein Therapieversuch mittels Rifaximin erfolgen. Auch Phytopharmarka können einen positiven Effekt auf die Symptomatik erzielen.

Prognose

Das Reizdarmsyndrom kann spontan rückläufig sein. Es nimmt aber in der Regel einen chronischen Verlauf. Die Erkrankung zeigt keine gesteigerte Koprävalenz mit anderen schwerwiegenden gastrointestinalen Erkrankungen. Es tritt eine Assoziation mit somatoformen und psychischen Störungen z.B. Depressionen, Fatigue-Syndrom, Fibromyalgie-Syndrom auf. Reizdarmsyndrompatienten haben eine normale Lebenserwartung. Die Lebensqualität der Patienten kann jedoch stark beeinträchtigt sein.

Prophylaxe

Derzeit existiert keine Prophylaxe, die das Auftreten eines Reizdarmsyndroms verhindern kann. Eine gesunde, ausgewogene Ernährung, Bewegung und Stressreduktion/Entspannung können dazu beitragen die Darmgesundheit aufrecht zu erhalten.