„Warum immer mehr junge Menschen in… | Vivomed, Gastroenterologie Bern

„Warum immer mehr junge Menschen in der Schweiz an Darmkrebs erkranken – Neue Hinweise deuten auf Colibactin hin"

Was hat es mit dem Bakterientoxin Colibactin auf sich – und warum könnte es gerade bei jungen Menschen das Darmkrebsrisiko erhöhen?

Die neuesten Forschungsergebnisse zeigen, dass der bakterielle Giftstoff Colibactin möglicherweise eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Darmkrebs im jungen Erwachsenenalter spielt. Wie schätzen Sie diese Erkenntnisse ein?

Dr. Stefan Schlosser, Facharzt für Gastroenterologie, Vivomed - Gastroenterologie Bern:
Diese Studienergebnisse sind ausgesprochen relevant. Seit einiger Zeit beobachten wir in der Gastroenterologie einen alarmierenden Anstieg von Darmkrebsfällen bei Menschen unter 50 Jahren – vereinzelt sogar schon bei Patientinnen und Patienten in ihren Dreißigern oder Vierzigern. Der nun entdeckte Zusammenhang zwischen Colibactin – einem Genotoxin bestimmter E. coli-Bakterien – und der Krebsentstehung bringt uns einen entscheidenden Schritt weiter im Verständnis dieser Entwicklung.

Was genau ist Colibactin – und wie kann es im Körper Schaden anrichten?
Colibactin ist ein sogenanntes Genotoxin, also ein bakterieller Stoff, der direkt die DNA gesunder Zellen schädigen kann. Produziert wird es von bestimmten Stämmen des Bakteriums Escherichia coli, die sich dauerhaft im Darm ansiedeln können. Über Jahre hinweg kann es dabei zu genetischen Veränderungen kommen, die das Risiko für die Entstehung von Darmkrebs erheblich erhöhen. Besonders bemerkenswert: Laut Studie entstehen erste DNA-Schäden durch Colibactin oft schon in der Kindheit – Jahrzehnte bevor die Krankheit diagnostiziert wird.

Wie häufig tragen Menschen solche Colibactin-produzierenden Bakterien in sich?
Ungefähr 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung beherbergen diese speziellen Bakterienstämme im Darm. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass es zur Krebsentstehung kommt. Entscheidend ist, wie sich das Darmmikrobiom im Laufe des Lebens entwickelt – beeinflusst durch Faktoren wie Geburtsmodus, Ernährung, Antibiotikaeinsatz und den Lebensstil insgesamt.

Welche Rolle spielt dabei unsere westliche Ernährungsweise?
Die Ernährung hat einen grossen Einfluss auf die Darmgesundheit. Eine typische westliche Ernährung – reich an verarbeitetem Fleisch, Zucker und fettigen Speisen, aber arm an Ballaststoffen – begünstigt tendenziell eine ungünstige Zusammensetzung der Darmflora. Das kann das Wachstum colibactin-produzierender Bakterien fördern. Eine darmgesunde Ernährung mit viel Gemüse, Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Obst und wenig tierischen Fetten – also etwa im Sinne der mediterranen Kost – kann das Risiko für Darmkrebs hingegen nachweislich senken.

Werden diese neuen Erkenntnisse langfristig die Darmkrebsvorsorge beeinflussen?
Das ist gut möglich. Denkbar wäre die Entwicklung neuer Stuhltests, mit denen sich Colibactin-assoziierte DNA-Schäden bereits frühzeitig im Leben nachweisen lassen. Wer solche Schäden aufweist, könnte dann deutlich früher zur Darmkrebsvorsorge eingeladen werden – zum Beispiel schon ab 25 oder 30 Jahren. Das wäre ein wichtiger Fortschritt im Bereich der personalisierten Prävention.

Was können junge Erwachsene heute schon konkret tun, um ihr Risiko zu senken?
Das Wichtigste: Frühzeitig auf Warnzeichen achten. Auch bei jungen Menschen sollten anhaltende Bauchschmerzen, Blut im Stuhl oder unerklärlicher Gewichtsverlust immer ärztlich abgeklärt werden – idealerweise bei einer spezialisierten gastroenterologischen Abklärung. In meiner Praxis in Bern erleben wir leider häufig, dass solche Symptome zu lange ignoriert oder bagatellisiert werden – sowohl von Betroffenen als auch im medizinischen Umfeld.

Daneben helfen die klassischen Präventionsmassnahmen: eine ballaststoffreiche Ernährung, regelmässige Bewegung, der Verzicht auf Nikotin, moderater Alkoholkonsum und ein gesunder Lebensstil insgesamt. Auch das Mikrobiom profitiert langfristig von diesen Massnahmen.

Was ist Ihre wichtigste Botschaft an junge Menschen mit Blick auf Darmkrebs?
Früherkennung ist der Schlüssel. Wird Darmkrebs rechtzeitig entdeckt – auch bei jungen Patientinnen und Patienten – bestehen ausgezeichnete Heilungschancen. Deshalb mein Appell: Symptome ernst nehmen, rechtzeitig zur Abklärung kommen und nicht zögern, einen Facharzt für Gastroenterologie aufzusuchen. Die moderne Diagnostik bietet heute viele schonende Möglichkeiten zur Früherkennung und Risikobewertung.