Therapie von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen: M. Crohn & Colitis ulcerosa
Die Behandlung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (IBD) wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Dank neuer Therapieoptionen können heute viele Patientinnen und Patienten ein nahezu beschwerdefreies Leben führen.
Doch jede Erkrankung verläuft anders – deshalb ist es wichtig, die Behandlung individuell anzupassen. Dr. Stefan Schlosser, Leiter der IBD-Sprechstunde bei Vivomed – Gastroenterologie und Hepatologie Bern, erklärt, worauf Betroffene bei der IBD-Therapie achten sollten, welche Behandlungsstrategien besonders wirksam sind und welche Fehler vermieden werden können.
Ob klassische Medikamente, Biologika oder moderne Kombinationstherapien – entscheidend ist, dass die Therapie auf die persönlichen Bedürfnisse und den Krankheitsverlauf abgestimmt wird. Eine enge Betreuung durch erfahrene Spezialist:innen hilft, Schübe zu verhindern und die Lebensqualität langfristig zu verbessern.
Kurz & Bündig: Wichtige Tipps bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (IBD)
- 5-ASA richtig anwenden: Bei Colitis ulcerosa sollte die orale 5-ASA-Therapie ausreichend hoch dosiert und – wenn möglich – mit einer lokalen (topischen) Behandlung kombiniert werden.
- Fatigue ernst nehmen: Erschöpfung (Fatigue) tritt bei IBD-Patient:innen deutlich häufiger auf als bei Gesunden – sprechen Sie dieses Symptom aktiv an.
- Eisenmangel behandeln: Bei IBD wird eine intravenöse Eisengabe gegenüber oralen Präparaten bevorzugt.
- Operation ist kein Versagen: Eine Ileozökalresektion kann eine sinnvolle und wirksame Therapieoption sein.
- Antibiotika mit Vorsicht: Breitspektrum-Penicilline können IBD-Schübe auslösen und sollten nur gezielt eingesetzt werden.
5-ASA bei Colitis ulcerosa – weiterhin die bewährte Standardtherapie
Mesalazin (5-Acetylsalicylsäure, kurz 5-ASA) bleibt auch heute der Therapiestandard bei Colitis ulcerosa. Studien zeigen deutlich: Eine höhere Dosierung kann die Wirksamkeit verbessern und den Heilungsprozess beschleunigen.
Eine Untersuchung ergab, dass eine doppelte Dosis von 4,8 g pro Tag zu einer besseren Besserungsrate (72 %) führte als die Standarddosis von 2,4 g pro Tag (58 %) – nach nur sechs Wochen. Eine Dosissteigerung kann sich also insbesondere während eines akuten Schubs lohnen.
Noch wirksamer ist die Kombination aus oraler und rektaler 5-ASA-Therapie. Damit lassen sich Ansprechraten von bis zu 90 % innerhalb von sechs Wochen erzielen, im Vergleich zu etwa 60 % bei alleiniger rektaler und 40 % bei alleiniger oraler Anwendung.
Bei einer linksseitigen Colitis ulcerosa empfiehlt sich die Anwendung von 5-ASA-Klysmen oder -Schäumen, die bis zur linken Kolonflexur wirken. Wichtig ist eine Einwirkzeit von rund 20 Minuten, damit das Medikament optimal wirken kann.
Biologika bei Morbus Crohn – moderne Therapien für mehr Lebensqualität
Die Behandlung des Morbus Crohn hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Neben klassischen Medikamenten stehen heute mehrere Biologika zur Verfügung, die gezielt in die Entzündungsprozesse im Darm eingreifen und so eine nachhaltige Remission ermöglichen.
Zu den zugelassenen Biologika bei Morbus Crohn gehören:
Infliximab, Adalimumab, Certolizumab, Risankizumab, Ustekinumab, Vedolizumab und Upadacitinib.
In der sogenannten Induktionstherapie – also zu Beginn der Behandlung – sprechen rund 60 % der Patient:innen auf diese modernen Wirkstoffe an. Damit sind Biologika ein zentraler Bestandteil der heutigen Morbus-Crohn-Therapie.
Risankizumab zeigt besonders gute Ergebnisse
In der Phase-IIIb-Studie SEQUENCE wurde Risankizumab direkt mit Ustekinumab verglichen.
Nach 24 Wochen erreichten 58,6 % der Patient:innen unter Risankizumab eine klinische Remission, im Vergleich zu 39,5 % unter Ustekinumab.
Nach 48 Wochen kam es bei 31,8 % der Patient:innen in der Risankizumab-Gruppe zu einer endoskopischen Remission – also einer sichtbaren Heilung der Darmschleimhaut – gegenüber 16,2 % unter Ustekinumab.
Welche Biologika wirken am besten?
Da direkte Vergleichsstudien zwischen Biologika selten sind, greifen Forschende zunehmend auf sogenannte Netzwerk-Metaanalysen zurück, in denen Ergebnisse verschiedener Studien miteinander verglichen werden.
Die Daten zeigen: Bei biologikanaiven Patient:innen (also ohne frühere Biologika-Therapie) erzielte Risankizumab (600 mg) die höchsten Remissionsraten, gefolgt von Infliximab, Adalimumab und Ustekinumab.
Bei Patient:innen mit bereits erfolgter Biologika-Therapie zeigte ebenfalls Risankizumab (600 mg) die besten Ergebnisse, dicht gefolgt von Upadacitinib und Adalimumab.
Biologikawahl bei Colitis ulcerosa – moderne Medikamente für eine gezielte Behandlung
Die Behandlung der Colitis ulcerosa hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Neben klassischen Therapien stehen heute zahlreiche Biologika und zielgerichtete orale Medikamente zur Verfügung, die gezielt die Entzündung im Darm hemmen und so die Lebensqualität deutlich verbessern können.
Zu den derzeit zugelassenen und häufig eingesetzten Wirkstoffen gehören Adalimumab (Humira®), Golimumab (Simponi®), Infliximab (Remicade®), Mirikizumab (Omvoh®), Risankizumab (Skyrizi®), Ustekinumab (Stelara®), Vedolizumab (Entyvio®), Etrasimod (Velsipity®), Ozanimod (Zeposia®), Tofacitinib (Xeljanz®) und Upadacitinib (Rinvoq®).
Diese modernen Medikamente ermöglichen bei vielen Patient:innen eine nachhaltige Remission und reduzieren das Risiko von Rückfällen erheblich.
Mirikizumab – Fokus auf Lebensqualität und Symptomkontrolle
Mirikizumab (Omvoh®), überzeugt durch ein besonderes Studiendesign: In der Zulassungsstudie wurde neben den klassischen Kriterien wie Ansprechraten und klinischer Remission auch der Stuhldrang als zusätzlicher Endpunkt untersucht.
Gerade dieses Symptom belastet viele Betroffene stark und schränkt ihren Alltag ein. Unter Mirikizumab verbesserte sich der Stuhldrang signifikant im Vergleich zu Placebo – ein wichtiger Fortschritt für die Lebensqualität von Patient:innen mit aktiver Colitis ulcerosa.
Weitere moderne Wirkstoffe im Überblick
Neben Mirikizumab stehen zahlreiche weitere effektive Biologika und Small Molecules zur Verfügung:
Anti-TNF-Antikörper wie Adalimumab (Humira®), Golimumab (Simponi®) und Infliximab (Remicade®) gehören zu den bewährten Standardtherapien bei moderater bis schwerer Colitis ulcerosa.
Integrin-Antikörper wie Vedolizumab (Entyvio®) wirken gezielt im Darm und zeichnen sich durch ein günstiges Sicherheitsprofil aus.
Interleukin-Inhibitoren wie Risankizumab (Skyrizi®), Ustekinumab (Stelara®) und Mirikizumab (Omvoh®) greifen selektiv in die Entzündungswege ein und zeigen in Studien hohe Remissionsraten.
S1P-Rezeptormodulatoren wie Etrasimod (Velsipity®) und Ozanimod (Zeposia®) bieten als orale Therapieoptionen eine Alternative für Patient:innen, die Biologika nicht vertragen oder auf diese nicht ausreichend ansprechen.
JAK-Inhibitoren wie Tofacitinib (Xeljanz®) und Upadacitinib (Rinvoq®) wirken ebenfalls oral und ermöglichen eine schnelle Kontrolle der Entzündung, insbesondere bei schwereren oder therapieresistenten Verläufen.
Nutzen und Risiken von Biologika und Small Molecules bei IBD
Die Behandlung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (IBD) wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Neben klassischen Medikamenten stehen heute zahlreiche Biologika und Small Molecules zur Verfügung, die gezielt Entzündungsprozesse hemmen und die Lebensqualität deutlich verbessern können.
Lokale Wirkung erhöht die Sicherheit: Generell gilt: Je lokaler ein Medikament wirkt, desto sicherer ist es. Unter den Biologika sind besonders jene Präparate gut verträglich, die hauptsächlich im Darm wirken und daher das Immunsystem nicht stark unterdrücken. Dazu zählen laut Fachleuten wie Dr. Stefan Schlosser:
- Vedolizumab (Entyvio®)
- Ustekinumab (Stelara®)
- Risankizumab (Skyrizi®)
- Mirikizumab (Omvoh®)
Diese Medikamente zeigen eine hohe Wirksamkeit bei IBD, während das Risiko für systemische Nebenwirkungen wie Infektionen geringer ist.
Ergänzende orale Therapieoptionen:
Small Molecules wie Ozanimod (Zeposia®), Etrasimod (Velsipity®), Tofacitinib (Xeljanz®) und Upadacitinib (Rinvoq®) wirken oral und bieten insbesondere für Patient:innen eine Alternative, die auf klassische Biologika nicht ausreichend ansprechen oder diese nicht vertragen. Sie ermöglichen eine schnelle Kontrolle der Entzündung, erfordern jedoch regelmäßige ärztliche Überwachung, um mögliche Risiken wie Infektionen oder Blutwerte-Veränderungen frühzeitig zu erkennen.
Nutzen-Risiko-Abwägung und individuelle Therapie
Die Wahl des richtigen Medikaments hängt immer von der Krankheitsaktivität, dem Entzündungsort, bisherigen Therapien und individuellen Begleiterkrankungen ab. Eine fachärztliche Beratung in der IBD-Sprechstunde ist entscheidend, um die optimale Therapie bei Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa zu finden und langfristig Remission und Lebensqualität zu sichern.
Chirurgie bei Morbus Crohn – eine wertvolle Behandlungsoption
Bei Morbus Crohn wird eine Darmresektion oft fälschlicherweise als Ultima Ratio angesehen. Dabei zeigen aktuelle Studien: In bestimmten Fällen kann eine Operation eine sichere und effektive Therapieoption sein.
Eine bevölkerungsbasierte Real-World-Studie verglich über 15 Jahre zwei Patientengruppen: eine Gruppe erhielt eine Ileozökalresektion, die andere wurde mit TNF-Hemmern (Tumornekrosefaktor-Antikörpern) behandelt.
Die Ergebnisse waren bemerkenswert:
Die operierten Patient:innen hatten ein um 33 % geringeres Risiko für Nebenwirkungen.
50 % der Patient:innen, die operiert wurden, benötigten nach fünf Jahren keine weitere Therapie.
Diese Daten zeigen, dass die Ileozökalresektion bei Patient:innen mit lokal begrenztem Morbus Crohn eine valide und langfristig wirksame Behandlungsoption sein kann. Eine sorgfältige individuelle Abwägung gemeinsam mit erfahrenen Gastroenterolog:innen ist entscheidend, um die optimale Therapie für jeden Patient:innenfall zu finden.
IBD betrifft nicht nur den Darm – Fatigue und extraintestinale Symptome
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (IBD) wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa wirken sich nicht nur auf den Darm aus. Viele Patient:innen entwickeln extraintestinale Symptome, zum Beispiel an Augen, Mund oder Gelenken. Besonders häufig und belastend ist Fatigue – eine ausgeprägte Müdigkeit, die direkt aus der systemischen Entzündung resultieren kann.
Fatigue bei IBD – häufig und schwerwiegend
Daten der SwissCohort Study zeigen: Über die Hälfte der IBD-Patient:innen berichten von signifikanter Müdigkeit (55 %) im Vergleich zu 35 % bei gesunden Kontrollen. Bei einem Drittel der Betroffenen beeinträchtigt diese Fatigue die täglichen Aktivitäten, während dies bei gesunden Personen nur bei 19,6 % der Fall ist.
Risikofaktoren für Fatigue bei IBD sind:
- weibliches Geschlecht
- jüngeres Alter bei Diagnose
- kürzere Krankheitsdauer
- nächtlicher Durchfall
- niedriges Bildungsniveau
- Symptome von Depression oder Angst
Ursachen erkennen und gezielt behandeln
Wenn Patient:innen über außerordentliche Müdigkeit berichten, sollte zunächst nach aktiver Darmentzündung gesucht werden. Zusätzlich sollten folgende Faktoren abgeklärt werden:
- Anämie und Eisen- oder Vitaminmangel (z. B. Vitamin D, B12, Thiamin)
- müdigkeitsfördernde Therapien wie Kortikosteroide oder Thiopurine
- postinfektiöse Zustände (z. B. nach Epstein-Barr-Virus oder Long COVID)
- schlechte Schlafqualität, z. B. durch nächtliche Durchfälle
- relevante Begleiterkrankungen wie Zöliakie, Diabetes, Hypothyreose, Depression, oder Herz-, Nieren-, Leber- und Atemwegserkrankungen
- Eisenmangel bei IBD – intravenöse Gabe bevorzugt
Liegt ein Eisenmangel vor, sollte dieser intravenös supplementiert werden. Studien zeigen, dass orales Eisen bei IBD die Entzündungsaktivität potenziell verstärken kann, während intravenöses Eisen sicherer ist. Außerdem belegen Metaanalysen eine höhere Wirksamkeit der intravenösen gegenüber der oralen Eisensupplementation.
Die European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) empfiehlt daher intravenöse Eisengabe als Erstlinientherapie bei Eisenmangel bei IBD-Patient:innen.
Cave Schubauslöser
Allgemein bekannt ist, dass bei IBD-Patienten nicht steroidale Antirheumatika zu vermeiden sind, weil sie einen Krankheitsschub auslösen können. Weniger bekannt sei wahrscheinlich, dass auch Antibiotika Schübe induzieren können.
Referenzen:
ECCO Guidelines on Therapeutics in Crohn’s Disease: Medical Treatment, Hannah Gordon and others
Journal of Crohn's and Colitis, Volume 18, Issue 10, October 2024, Pages 1531–1555, https://doi.org/10.1093/ecco-jcc/jjae091
ECCO Guidelines on Therapeutics in Ulcerative Colitis: Medical Treatment, Tim Raine and others
Journal of Crohn's and Colitis, Volume 16, Issue 1, January 2022, Pages 2–17, https://doi.org/10.1093/ecco-jcc/jjab178
ECCO Guidelines on Extraintestinal Manifestations in Inflammatory Bowel Disease, Hannah Gordon and others
Journal of Crohn's and Colitis, Volume 18, Issue 1, January 2024, Pages 1–37, https://doi.org/10.1093/ecco-jcc/jjad108