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Bei einer Divertikulitis entzünden sich Ausstülpungen der Dickdarmschleimhaut (Divertikel). Sie tritt vorrangig bei älteren Menschen auf und kann harmlos oder lebensbedrohlich verlaufen.

Die Wände des Dickdarms bestehen aus mehreren Schichten. Drücken sich die inneren Schichten, die Mukosa und die Submukosa, durch Lücken in den Muskelschichten der Darmwand, können sich Ausstülpungen, sogenannte (Pseudo-)Divertikel bilden. Treten alle Wandschichten des Darms, inklusive der Muskulatur, durch die Muskellücke, spricht man von einem echten Divertikel. Sind Divertikel asymptomatisch, werden sie Divertikulose genannt. Entzündet sich ein solches Divertikel, entsteht eine Divertikulitis oder Divertikelkrankheit. Bleibt die Entzündung auf das Divertikel begrenzt, wird sie Peridivertikulitis genannt. Ist auch das umgebende Darmgewebe betroffen, spricht man von einer Perikolitis.

Klassifiziert werden Divertikulitiden nach der CDD (Classification of diverticular disease) für Divertikelkrankheiten:

  • Typ 0: asymptomatische Divertikulose
  • Typ 1: akute unkomplizierte Divertikulitis
    • Typ 1a: ohne phlegmonöse Umgebungsreaktion
    • Typ 1b: mit phlegmonöser Umgebungsreaktion
  • Typ 2: akute komplizierte Divertikulitis mit
    • Typ 2a: Mikroabszess ≤ 1cm Durchmesser
    • Typ 2b: Makroabszess >1cm
    • Typ 2c: freie Perforation
    • Typ 2c1: eitrige Peritonitis
    • Typ 2c2: fäkale Peritonitis
  • Typ 3: chronisch rezidivierende oder anhaltende symptomatische Divertikelkrankheit
    • Typ 3a: symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit
    • Typ 3b: rezidivierende Divertikulitis ohne Komplikationen
    • Typ 3c: rezidivierende Divertikulitis mit Komplikationen
  • Typ 4: Divertikelblutung

Veraltet werden teilweise auch noch die Klassifikationen nach Hansen und Stock oder nach Hinchey angewendet. Beide Klassifikationen gelten jedoch seit Veröffentlichung der ersten Leitlinie zur Divertikelkrankheit/Divertikulitis 2014 als obsolet.

Epidemiologie

Divertikel gelten als Volkskrankheit in westlichen Industrienationen. Verlässliche Zahlen zur Häufigkeit der Divertikulose und der Divertikulitis gibt es kaum, da viele Divertikel keine Beschwerden verursachen und nur als Zufallsbefunde bei Dickdarmuntersuchungen mit Kontrastmittel oder in Obduktionen entdeckt werden. Dadurch könnte eine Überschätzung der Häufigkeit entstehen:

Hochrechnungen zufolge finden sich Divertikel im Dickdarm bei 

  • ca. 13% der unter 50-Jährigen
  • ca. 30% der 50- bis 70-Jährigen
  • etwa 50% der 70- bis 85-Jährigen
  • ca. 66% der über 85-Jährigen

20-30% der Patienten mit Divertikeln entwickeln im Laufe ihres Lebens Symptome und eine Divertikulitis. Auf das Jahr gerechnet betrifft das etwa 4% der Patienten mit symptomloser Divertikulose. Ältere Patienten sind häufiger betroffen als junge. In Europa und Amerika ist besonders häufig das Sigmoid, der letzte Teil des Dickdarms, betroffen. Da die Symptome denen einer Appendizitis ähneln, spricht man bei einer Divertikulitis in diesem Bereich umgangssprachlich auch von einer „Linksseiten-Appendizitis“ oder „Linksappendizitis“. Im asiatischen Raum ist häufiger das aufsteigende Kolon betroffen, die sogenannten Coecumdivertikulitis. Sie ist seltener, meist angeboren und wird verursacht durch echte Divertikel.

Ursachen

Divertikel gelten in westlichen Bevölkerungen als Zivilisationskrankheit. Auslöser für Divertikulitiden sind vielfältig und häufig nicht klar eingrenzbar. Ein steigendes Lebensalter scheint ein Grund dafür zu sein, dass Divertikel entstehen. Die Ernährung spielt nach aktueller Studienlage ebenfalls eine wichtige Rolle dabei, ob jemand Divertikel bekommt oder nicht und, ob sich daraus eine Divertikulitis bilden kann oder nicht.

Besonders eine ballaststoffarme Ernährung und viel rotes Fleisch werden als mögliche Ursache oder fördernder Umstand für eine Divertikulose diskutiert. Auch Rauchen, Übergewicht und mangelnde körperliche Aktivität können die Entstehung von Divertikeln fördern. Kommt es zusätzlich zu Stuhlstau, entzünden sich die betroffenen Darmbereiche schneller und eine Divertikulitis entsteht.

Ebenso können bestimmte Erkrankungen wie Diabetes, arterielle Hypertonie, Nierenerkrankungen, Immunsuppression und allergische Prädispositionen Divertikulitiden befördern. Auch genetische Faktoren wie beispielsweise das Marfan-Syndrom können Divertikulitiden verursachen.

Pathogenese

Die Darmwand besteht aus mehreren Schichten: der Schleimhaut (Mukosa), der Submukosa, den Muskelschichten (Muscularis) und der Adventitia außen. Besonders in Bereichen, in denen Blutgefäße durch die Darmwand ziehen, die sogenannten Vasa recta, können sich Schwachstellen bilden. Dies nimmt mit dem Alter zu, wenn das Bindegewebe an Elastizität verliert und die Darmwand zunehmend weniger resistent gegen Druck wird. Treten zusätzlich nun wiederholt Verstopfungen auf, werden Teile der Darmschleimhaut durch diese Lücken im Muskelgewebe gedrückt. Die Darmwand stülpt sich aus und Divertikel entstehen.

Stülpen sich nur Teile der Darmschleimhaut durch die Gefäßlücken im muskulären Teil der Darmwand, spricht man von einem Pseudodivertikel. Sind alle Wandschichten betroffen, so handelt es sich um ein komplettes, extramurales Divertikel. Da besonders das Sigma von Vasa recta durchzogen ist und der Druck innerhalb der Darmwände und aus dem Darminneren hier sehr hoch ist, sind diese Bereiche besonders anfällig für Divertikel.

Durch die Ausstülpung der Darmwand werden die versorgenden Blutgefäße in der Darmwand zusammengedrückt. Die Durchblutung der Divertikel verschlechtert sich und die Schleimhaut wird unterversorgt. Bleibt nun Stuhl im Divertikelbereich hängen, können Keime die Schleimhaut angreifen. Der erhöhte Druck durch den Stuhl reizt die Darmwand zusätzlich mechanisch und kann Druckulzerationen (durch Druck hervorgerufene Geschwüre) verursachen. Die Darmwand entzündet sich und eine Divertikulitis entsteht. Passiert dies wiederholt, fibrosiert das Gewebe. Die Wand verdickt sich, der Darm wird an der betroffenen Stelle verengt und ein kompletter oder inkompletter Darmverschluss entsteht. In seltenen Fällen kann die Entzündung auch auf benachbarte Darmschlingen übergreifen und eine Subileus bis hin zum Ileus auslösen.

Neben dem Risiko für einen Darmverschluss steigt aufgrund der Entzündung bei einer Divertikulitis auch das Risiko für Abszesse, Darmdurchbrüche und Fistelbildungen. Die dünne Darmwand kann dem Druck aus dem Darminneren nicht mehr standhalten und reißt ein. Liegen über der gerissenen Stelle Darmschlingen oder Teile der Darmwand, spricht man von einer gedeckten Perforation, aus der sich Abszesse bilden können. Reißt die Darmwand ein und ein Loch entsteht, ist es eine freie Perforation. Darminhalt kann in den Bauchraum austreten und eine Peritonitis auslösen. In dem Fall handelt es sich um einen akuten chirurgischen Notfall mit Peritonismuszeichen.

Symptome

Die Klinik der Divertikulitis ist abhängig vom Entstehungsort. In westlichen Ländern ist die Symptomatik der Sigmadivertikulitis mit mehr als 90% überpräsent. Ihre Symptome ähneln häufig der einer Appendizitis, woraus sich auch der umgangssprachliche Name der „Linksseiten-Appendizitis“ oder „Linksappendizitis“ ergibt. Es können alle oder nur einzelne der folgenden Symptome auftreten:

  • Spontanschmerz, teilweise mit Ausstrahlung in den Rücken
  • Stuhlunregelmäßigkeiten mit Verstopfungen (Obstipation) und Durchfall (Diarrhoe)
  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • Blähungen (Flatulenzen)
  • teilweise schmerzhaftem Stuhldrang (Tenesmen)
  • tastbare druckschmerzhafte Walze im linken Unterbauch
  • erhöhte Temperatur
  • bei chronischem Verlauf zusätzlich spastische Stenosen

Bei einer Coecumdivertikulitis treten hingegen vor allem Schmerzen im rechten Mittel- und Unterbauch auf.

Reißt ein entzündetes Divertikel ein und eine freie Perforation entsteht, kommen zusätzlich Symptome einer akuten Peritonitis mit Sepsis hinzu. Dazu zählen:

  • eine hohe Abwehrspannung im Bauch
  • starke Schmerzen
  • Fieber, Schüttelfrost
  • Übelkeit und Erbrechen bis hin zu Koma und Tod.

Besonders bei älteren, geriatrischen Patienten oder bei immunsupprimierten Patienten kann eine Divertikulitis auch atypisch verlaufen oder akute Symptome gänzlich fehlen.

Diagnostik

Divertikel sind häufig symptomlos. Erst die Divertikulitis kann Symptome verursachen. Deshalb haben die körperliche Untersuchung, vor allem aber die Laboruntersuchung und die apparative Diagnostik bei der Divertikulitis einen hohen Stellenwert. In der Anamnese sollten Risikofaktoren wie Rauchen, Medikamenteneinnahme (NSARs, Kortikosteroide, Opiate und andere das Blutungsrisiko erhöhende Medikamente) und Essgewohnheiten abgefragt werden.

In der körperlichen Untersuchung kann man teilweise eine druckschmerzhafte Walze im linken Unterbauch ertasten – das Sigma ist druckschmerzempfindlich und gelegentlich aufgetrieben. Beim Perkussieren (Ausklopfen) fällt ein tympanitischer Klopfschall auf. Ähnlich einer Appendizitis können ein Loslassschmerz im Unterbauch und ein lokalisierter Druckschmerz auftreten. Ist die Divertikulitis perforiert, sind auch ein akutes Abdomen mit Abwehrspannung und starker Schmerzempfindlichkeit möglich. Bei einer Sigmadivertikulitis kann der Schmerz bewegungsabhängig sein und sich bei bestimmten Bewegungen verstärken.

Da Divertikulitiden perforieren können, sollten bei Verdacht Blutdruck und Puls kontrolliert werden, um einen möglichen Schockindex frühzeitig zu erkennen.

Labor: Das Labor zeigt vor allem unspezifische Entzündungszeichen mit erhöhtem CRP über 5 mg/100 ml, Leukozyten über 10-12 000/μl und einer Blutsenkungsgeschwindigkeit über 15 mm/Stunde. Ist der CRP bei mehr als 20 mg/100 ml, kann die Divertikulitis bereits perforiert sein. 

Bildgebung

Ultraschalldiagnostik: Zur Primärdiagnose eignet sich die Sonographie, da sie flächig verfügbar und schnell ist und kosteneffizient eingesetzt werden kann. Auch in der Verlaufsdiagnostik wird sie bei Divertikulitis und Divertikulose eingesetzt. Durchgeführt wird sie nach den Leitlinien aus 2014 mit ≥ 3,5 MHz (optimal > 5 MHz) und mit dosiertem Druck auf der Stelle mit dem stärksten Schmerz. In der Sonographie ist eine echoarme, zunächst asymmetrische Wandverdickung von mehr als 5 mm zu sehen. Die Wandschichtung ist aufgehoben. Die Darmstruktur lässt sich nur gering zusammendrücken bzw. unter Druck verformen. Um das entzündete Divertikel herum kann sich eine echogene Netzkappe mit echoarmen Entzündungsstraßen gebildet haben. Charakteristisch sind auch der schießscheibenähnliche Querschnitt, das Dom-Zeichen und die entzündliche Hypervaskularisierung. Als Anzeichen eines Abszesses gelten echoarme oder echofreie Herdbildungen in der Wand oder um den Darm herum, Reverbationsechos und Kometenschweifartefakte. Bei freier Perforation ist freie Luft oder echogene Flüssigkeit im Bauchraum erkennbar.

Computertomographie: Liegt das Divertikel sehr tief im Bauchraum, oder besteht eine Notfallsituation, ist eine Sonographie nicht zielführend genug in der Diagnostik. Die CT ist der Sonographie in Genauigkeit, vor allem in diesen Spezialfällen, überlegen. Sie ist das sicherste und genaueste Verfahren, um eine Divertikulitis nachzuweisen, hat jedoch den Nachteil der Strahlenbelastung. Besonders, wenn der Verdacht von Abszessen oder Perforationen besteht, liefert sie schnelle Ergebnisse und erlaubt eine solide Stadieneinteilung sowie die Klärung der Frage der OP-Indikation. In der Bildgebung zeigen sich eine entzündliche angeschwollene Darmwand und Fettgewebsimbibierungen. Bei Perforation ist auch freie Luft im Bauchraum erkennbar.

Koloskopie und Endoskopie: Akute Divertikulitiden können teilweise konservativ behandelt werden. Um andere Ursachen auszuschließen und mögliche weitere Behandlungsschritte zu planen, sollte nach Abklingen der Divertikulitis etwa 6-8 Wochen nach Erkrankung, eine Koloskopie erfolgen. Während des akuten Geschehens sind die Darmwände empfindlicher. Deshalb darf die Koloskopie erst durchgeführt werden, nachdem die Entzündung abgeklungen ist. Eine Koloskopie sollte jedoch nach Abklingen immer erfolgen, da hinter der Entzündung auch Karzinome stecken können. Ist dem Stuhl Blut beigemengt, wird auch während einer akuten Divertikulitis häufig eine Endoskopie durchgeführt. Dies ist notwendig, um die Blutungsquelle zu finden und andere Ursachen als eine Divertikelblutung auszuschließen.

Therapie

Die Divertikulitistherapie richtet sich nach dem Stadium der Erkrankung. Typ 1a und 1b können meist konservativ behandelt werden, die anderen Typen bedürfen teilweise einer Operation.

Konservative Therapie

Unkomplizierte akute Divertikulitiden können meist ambulant behandelt werden. Neben einem Breitbandantibiotikum, sollte bis zum Abklingen der Symptome auf eine ballaststoffarme Kost geachtet werden. Auch eine im Dünndarm gut resorbierbare niedermolekulare Formeldiät kann helfen. Gegen die Schmerzen kann Paracetamol angeboten werden.

In der Regel bilden sich die Symptome innerhalb von zwei bis vier Tagen zurück. Sobald Beschwerdefreiheit erreicht ist und die Infektparameter zurückgegangen sind, kann die Ernährung langsam wiederaufgebaut werden und faserreiche Kost aufgenommen werden.

Bei Typ 2a sollte die Behandlung stationär erfolgen. Die Ernährung erfolgt ausschließlich intravenös. Das Breitbandantibiotikum wird ebenfalls intravenös gegeben und sollte so ausgewählt werden, dass es vor allem gegen Anaerobier und gramnegative Bakterien wirksam ist, beispielsweise Metronidazol und Ciprofloxacin oder Piperacillin und Tazobactam/Ceftriaxon. Da die konservative Therapie in diesem Stadium bereits nicht mehr immer anschlägt, muss der Patient engmaschig überwacht werden.

Im Stadium Typ 2b, der akuten komplizierten Divertikulitis, kann zusätzlich eine perkutane Drainage gelegt werden. Die Beschwerden sollten sich innerhalb von zwei bis drei Tagen bessern. Ist dies nicht der Fall, oder gibt es Anzeichen einer freien Perforation (Übergang zu Typ 2c), einer Sepsis oder eines akuten Abdomens, besteht OP-Indikation.

Prognose

Die Prognose der Divertikulitis hängt davon ab, in welchem Alter sie das erste Mal auftritt und wie schwer sie verläuft. Eine generelle Operationsindikation besteht heutzutage nur noch unter speziellen Vorraussetzungen und bei Perforation. Wie häufig eine Divertikulitis wiederkommt und Rezidive ausbildet, ist schwierig zu sagen. Ist sie unkompliziert und kann erfolgreich konservativ behandelt werden, liegt das jährliche Rezidivrisiko bei nur 2%. Es kann jedoch auch bei bis zu 30% liegen, je nach Alter, Schwere und Therapieansprechen des Patienten. Auch das Sterberisiko hängen vom Stadium und dem allgemeinen Zustand des Patienten oder der Patientin ab. In den Stadien 1a und 1b sowie 2a liegt es bei unter 15%, im Stadium 2c hingegen bei bis zu 15%. Deshalb ist eine frühzeitige Therapie wichtig.

Prophylaxe

Das Risiko für Divertikel und Divertikulitis steigt mit dem Lebensalter. Es lässt sich aber auch positiv durch das eigene Verhalten beeinflussen. Eine ballaststoffreiche Ernährung beispielsweise kann helfen, den Darm gesund zu halten und Verstopfungen vorzubeugen. Auch körperliche Aktivität beugt Divertikeln vor, ebenso ein gesundes Körpergewicht. Auch eine Rauchentwöhnung hilft, zu vermeiden, dass sich Divertikel entzünden und perforieren.

Hinweis: Eine frei perforierte Divertikulitis ist eine Notfallsituation. Sie stellt eine Indikation für eine Notfalloperation dar.